Die Ehrlenbachs sind ein altes Hexengeschlecht, dessen Geschichte angeblich bis in die Zeit der Hexenverbrennung zurückgeht, wie Großmutter Rosalinde immer wieder betont. Kein Wunder also, dass auch Amalie Ehrlenbach, die Ältere der beiden Schwestern der neusten Generation, bereits 105 Jahre auf dem Buckel hat. Ansehen würde man ihr das nicht, wirkt sie doch wie eine schnittige Mittdreißigerin, die sich vielleicht manchmal etwas farblos kleidet und gerne im Hintergrund hält. Nach einem geschichtswissenschaftlichen Studium hat sie ihre Berufung als Bibliothekarin in der Bücherei von Quedlinburg gefunden, weil die Welt der Bücher und Geschichten einfach schon immer eine gewisse Faszination auf sie ausgeübt hat. Gleichzeitig ist sie aber auch ein großer Menschenfreund. Und so kam es auch, dass es ausgerechnet Amalie war, die damals gegen den Willen ihrer Mutter als erste mehr mit der Hexerei zu tun haben wollte, um den Menschen damit helfen zu können – worin ihr ihre Großmutter nur zu gerne behilflich war. Amalie drängt sich nicht auf, aber inzwischen hat es in ihrem Bekanntenkreis längst die Runde gemacht, dass sie Talismane, Tränke und Tinkturen mixt, wenn man sie darum bittet und sie denkt, dass es helfen kann. Bezahlen lässt sie sich dafür nicht, denn von Freunden nimmt man kein Geld und für andere würde sie es nicht machen. Aber wenn sie helfen kann, dann hilft sie. Gleiches gilt auch für ihre Fähigkeit der Pflanzenmagie. Noch hat sie es kaum übers Herz gebracht, eine sterbende Pflanze sich selbst zu überlassen. Jenes Herz übrigens hat sie inzwischen gut verschlossen, nachdem ihr Mann verstorben ist. Zum einen, weil sie sich nicht vorstellen kann, dass jemand seinen Platz einnehmen könnte. Zum anderen, weil sie nicht noch einen geliebten Menschen gehen lassen will, während sie im besten Fall noch weitere 150 Jahre vor sich haben wird…